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16. November 2004

Alocapyps now!

Reiter

Es war mal wieder einer dieser Leermondnächte. Die Reflexion des Sonnenlichtes bereitete sich darauf vor, auf der Mondoberfläche die Seite zu wechseln um die Geröllkugel in einem anderen Licht zu zeigen und somit erneut ihr wahres Gesicht zu offenbaren. In solchen Nächten neigte ich dazu schlecht zu schlafen und von Albträumen heimgesucht zu werden.

Seit einem Jahr etwa, handelten diese Träume ausschliesslich von Flugzeugkatastrophen, worin ich meist an einer nahegelegenen Böschung sass und beobachten musste wie sich ein, bis an die Ausstiegsluken vollgetankter Jumbojet in den Morast bohrte. Ausser dass ich mir die Bescherung, die vor allem aus Blechschaden bestand, anschauen musste, geschah eigentlich nichts albtraumhaftes. Meist gab es nicht einmal ein Feuerchen oder eine Explosion. Trotzdem erwachte ich jeweils schweissgebadet und konnte dann für den Rest der Nacht nicht mehr einschlafen.

Diesmal war das Drehbuch anders: Ich sass als Kapitän am Steuerknüppel einer Tupolev TU-104 der Iran Air und verlor unverzüglich die Kontrolle über die Bordinstrumente. Die Kiste stürzte als Folge meines Unvermögens in einen dichtbesiedelten Vorort von Tehran.

Durch die Wucht des Aufpralls wurde das Cockpit abgerissen und weggeschleudert, so dass ich der Flammenhölle des restlichen Fliegers entging. Ich wusste, dass ich gleich erwachen würde und mich für den Rest der Nacht in den verschwitzten Laken wälzend werde.

Der erwartete Verlauf der angebrochenen Nacht blieb zu meinem Erstaunen aus. Nichts geschah, nichts was auch nur im entferntesten darauf hindeutete, mich aus meiner misslichen Lage zu befreien. Stattdessen blieb ich, immer noch in den Sicherheitsgurten hängend, in den Trümmern des Cockpits und betrachtete das infernalische Feuer aus sicherer Distanz. Ich fragte mich wie viele Menschen wohl den Tod gefunden hatten in meinem Traum.

Nach einer gefühlten Stunde sah ich aus dem Dunst über dem Horizont, der Vorort hat sich aus meiner Vorstellung verflüchtigt, so dass das Szenenbild nur noch durch die Überreste der Tupolev bewohnt war, ein Reiter heranreiten. Heranreiten ist vielleicht das falsche Wort und bezieht sich nur gerade darauf, dass Er auf einem graugescheckten Pferd sass. Vielmehr war es ein Schweben, das allerdings in einer derart hohen und unsteten Geschwindigkeit geschah, dass die geltenden Ansichten der physikalischen Gesetze nicht gerade unterstützte wurden.

Über diese Ungereimtheit kein bisschen erstaunt, wartete ich gespannt auf die weiteren Geschehnisse. Einerseits erwartete ich immer noch das prompte Aufwachen und andererseits nahm es mich wunder, welche Geschichten mein Traumzentrum zur Steigerung meiner Pein ausgebrütet hatte. Der Fremde kam - wie zu erwarten - zu mir und ein unerwartetes Angstgefühl von unmenschlicher Stärke schlich sich durch meine Gebeine, als er mit seiner Stimme zu mir sprach. Ich verstand kein Wort, dachte nur daran, dass ich wohl diesmal nicht bloss im Nachtschweiss aufwachen werde.

Sein Stimmorgan musste wohl von einer Energiequelle gespeist werde, die sich ausserhalb meines Phantasiegewirrs befand. Die Stimme war, begleitet von Echos und Vibrationen, übernatürlich laut, so dass ich mir instinktiv die Ohren zuhielt. Der Lärm, der vom Reiter, der übrigens immer noch auf seinem, Pferd sass, verbreitet wurde, erinnerte mich an meine Kindheit. Kamen wir nämlich auf unseren Sonntagsspatziergängen durch eine Unterführung, so schrieen mein Bruder und ich so laut, dass sich alle umstehenden Leute wegen der Schallverstärkung die Ohren zuhalten mussten.

Plötzlich war es still und der Reiter hielt mir den mir wohlbekannten Holzschnitt von Dürrer hin. Jetzt erst erkannte ich den Bogen in seiner linken Hand und wusste, dass es sich bei dem Reiter um die längst vergessene Pest handelte.

Er fing nun wieder an zu sprechen, zwar immer noch sehr eindringlich, diesmal allerdings in einer Sprache welcher ich mächtig war und auch in einer Lautstärke die meine Audiorezeptoren nicht gleich reihenweise ins Jenseits beförderten. Dorthin wo schon diejenigen sich ein Stelldichein gaben, welche die Rasenden Leichenbeschauer auf dem Gewissen hatten.

Er erzählte mir, dass seit seiner frühzeitigen Pensionierung, jüngere und gewissenhaftere Reiter seine, von Gott auferlegten Aufgaben ausführen. Er nach einer sehr depressiven Lebensphase, nun auf der Suche sei, seine drei Brüder wieder zu finden zu welchen er damals aus Scham jeglichen Kontakt abgebrochen hatte. Am einfachsten schien es ihm Tod wieder zu finden. Normalerweise hielt sich Tod damals nach gemeinsamer Arbeit am längsten an dem Ort des Geschehens auf. Während wir drei anderen bereits neue Aufträge vorbereiteten, sass Tod oft noch lange in seinem Haus und erledigte den ganzen administrativen Kram. Nicht selten beschwerte er sich auch bei uns und beschimpfte uns, dass wir ihn damit im Stich liessen. Aber er sah meistens ein, dass es der Vorsehung der Göttlichen Ordnung entsprach und er nichts daran zu meckern hatte.

Pestilenz erzählte mir, dass er nun schon seit gut einem halben Jahrhundert erfolglos auf der Suche nach seinen Brüdern sei. In die Hungergebiete der Erde getraue er sich nicht, weil dort das Klima meist zu unerträglich für ihn sei und auf die Kriegsschauplätze will er nicht, wegen dem Gestank und dem Lärm. Er gab aber nicht auf, den Tod konnte er auch anderswo treffen, den gestorben wird schliesslich auch anderswo, ja genugenommen überall sogar. So habe er sich die letzten Jahre überall dort aufgehalten, wo Menschen starben die nicht Hunger oder Krieg litten.
Leider ist aber bis zum heutigen Tag der Wunsch seinen Bruder Tod dort zu finden, nicht in Erfüllung gegangen. Es beschlich in schon seit längerem, dass Gefühl, dass irgend etwas im Göttlichen Gefüge aus dem Ruder geraten war, konnte sich aber beim besten Willen nicht vorstellen was es war.

Er erzählte mir, dass er auf mich aufmerksam geworden sei, als ich mein Interesse für die Mysterien des heiligen Johannes, der damals sein Lehrmeister gewesen war, öffentlich kund tat. Pestilenz erläuterte mir auch sein Prinzip, mit dessen Hilfe es ihm gelang in Träume von uns Sterblichen einzudringen. Er war überzeugt davon, dass des Rätsels Lösung in dieser Wahrnehmungsebene zu finden sei und beschrieb überaus detailgetreu die ganzen Mechanismen um diese Sprünge zwischen den Realitäten zu vollbringen. Mein eingeschränktes irdisches Wissen, zusätzlich geschwächt durch die missliche Situation in der ich mich immer noch befand, erlaubten es mir kaum den Ausführungen zu folgen. Langsam aber sicher jedoch verlies mich der Glaube, dass ich nur in einem meiner Albträume festsass.
Er erzählte, die Geschichte mit den 666 Eingängen in die Hölle basiere auf einem Missverständnis zwischen Johannes und den Bewohnern eines Armenischen Dorfes, in welchem der Gelehrte gewohnt hatte. Eine Hölle, wie sie in der christlichen Lehre beschrieben wird, existiert nicht. Anstelle müsse ich mir im Sinne der diskreten Wahrscheinlichkeit, eine Überwelt vorstellen, in die zu gelangen, verschiedene Pforten auf der Welt zur Verfügung stünden, deren Existenz wiederum einer zeitlichen Abhängigkeit unterworfen war. Johannes wollte in seinem Evangelium diese Tatsache erwähnen, scheiterte aber an der Zensur Gottes. Gott konnte es nicht zulassen, dass seine Macht, welche auf Hoffnung und Angst beruhte, durch schnöde Wahrheit perforiert wurde. Das Risiko, dass die Menschen dem Evangelium Johannes keinen Glauben schenken würden, konnte er nicht eingehen. Aus Trotz Gott gegenüber, baute Johannes unbemerkt ein paar fatale Unwahrheiten in seine Texte und jubelte sie unters gierige Volk.

Der redselige Reiter, der immer noch auf seinem furchteinflössenden Pferd sass, unterbrach plötzlich sein Sprechfluss um etwas in einer Satteltasche zu suchen. Ich nutzte die Gelegenheit um ihm eine drängende Frage zu stellen. Ich wollte wissen warum er sich gerade in meinem Traum aufhielt und was ich Mensch, der sicher schon längst aufwachen müsste um zur Arbeit zu fahren, denn tun soll, damit er seine Brüder wieder finden könnte. Ein gutes Gefühl hatte ich nicht bei der Frage, aber es blieb mir nichts anderes übrig, als sie zu stellen.
Tosend nahm er seine Rede wieder auf und verkündete froh, dass ich ihm bereits geholfen habe, indem ich durch die geträumte Flugzeugkatastrophe, Hunderte von Menschen in den Tod geschickt habe. Bei seinem Ritt zum Unglücksort habe er in der Ferne den Schatten von Tod gesehen, sei aber dann doch zu spät gekommen zum ersehnten Wiedersehen.
Ich brauche also nur in der folgenden Nacht das gleiche zu träumen und er, Pest würde erneut erscheinen und konnte so seinen Bruder treffen. Erwartungsvoll leuchteten seine Augen in meine Richtung.

Ich war alles andere als erfreut über diese Idee. Ich erklärte ihm, dass ich diesen Traum zwar regelmässig träumte aber bloss zu Leermond und wichtiger noch, dass ich keineswegs gewillt sei meine Träume, mögen sie noch so unerträglich und verrottet sein, irgendwelchen dahergelaufenen Entitäten der christlichen Lehre, zum Kaffeekränzchen zur Verfügung zu stellen.
Pestilenz bebte innerlich, ich spürte es. Das war ihm offenbar zu viel. Er reichte mir ein Stück Blech, auf dem für mich unleserliche Schriftzeichen geschrieben standen, zog energisch sein Pferd herum und gallopierte, ohne ein Wort des Abschieds in die Richtung, aus der er gekommen war. Ich sah ihm nach so gut es ging und wusste nicht wo mir der Kopf stand.

Wieder wurde es sehr ruhig und wie gewohnt hüllte sich die Umgebung in Watte. Kurz bevor ich endlich aufwachte, glaubte ich Alvin Strait auf seinem Rasenmäher vorbeifahren sehen. Ich fragte mich, ob neuerdings die ganzen Menschen der Welt auf dem Weg zu ihren Brüdern seien.

Ich lag im Bett wie immer nach solchen Träumen, hatte aber zum Glück ausser becherweise Schweiss, keine weiteren Körperflüssigkeiten verloren. Sogar ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass alles seinen gewohnten Lauf nahm: Es war drei Uhr morgens und ich wusste, dass an ein Weiterschlafen nicht zu denken war.
Das einzig sonderbare an der Sache, war das Stück Blech in meiner rechten Hand. Als ich es umdrehte standen mit gelber Schrift Schriftzeichen darauf, die mit viel Fantasie eine Adresse bedeuten konnten. Die Zahl 1447 war zu erkennen.

D J B r u t a l o @ s c h n u l l i b l u b b e r . c h

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